Nikolai Vogel: I love no waiting ... in a save room

Rede zur Ausstellungseröffnung "I love no waiting ... in a save room" am 4. Dezember 2010, Sonoris Causa, München
 

... IN A SAVE ROOM

Sie sind in Sicherheit! Die Erde rast mit einer Geschwindigkeit von 107 Tausend Stundenkilometern um die Sonne und die gleichzeitig mit 792 Tausend Stundenkilometern durchs All, aber das tangiert uns nicht. Sie sind in Sicherheit! Die Stunde, auf die wir uns vorbereitet und gefreut haben, ist da, liebe Besucher, sehr verehrte Damen und Herren, willkommen, Künstler und Kunstfreunde aus aller Welt, die Warterei hat ein Ende, wir haben es geschafft und Sie haben es geschafft, Sie sind in Sicherheit! Vier starke Wände, die so schnell nichts erschüttern wird, und dennoch gibt es viel zu sehen, allerdings, Kunst bleibt immer verdächtig, holt sie doch Vorstellungen und Bilder in diesen Raum, die von woanders herkommen. Aber die Zeit vergeht ja so schnell und man kann doch nicht immer nur auf blanke Wände blicken, um sich sicher zu fühlen, vor dem, was draußen währenddessen so vorgehen mag. All den Meteoren, die vielleicht nicht ganz verglühen, Ozonlöchern, die sich öffnen und wieder zuziehen, als handele es sich um Schließmuskeln, aufkommenden Winden und sintflutartigen Regengüssen, Blitzeinschlägen, Dürren, oder Fürzen in der U-Bahn. Der Kontakt mit all dem will vermieden sein, und weil er jederzeit droht, kann den ein oder anderen aus heiterem Himmel die Angst überfallen - gut, wenn man dann einen Ort hat, an den man sich zurückziehen kann, einen sicheren Ort, in dem man sich verschließen kann, vom Zugriff anderer abschotten. Sie sind in Sicherheit! Das heißt dann Panic Room. Ein Raum also, in dem man Panik hat, indem schnell geatmet wird, in dem hysterische Schreie ausgestoßen werden, und kaum wahrnehmbares Wimmern, indem der Puls rast und der Blutdruck hoch schnellt, als wär's ein Hau den Lukas, die gejagten Bassschläge in Plastikmans Song Panic Attack. Sie sind in Sicherheit! Allerdings kann der eigene Körper nun das Problem werden, man fängt zu schwitzen an, man atmet schnell, man wird zittrig, man weiß überhaupt nicht, wie man jemals wieder ruhig werden soll. Sie sind in Sicherheit! Sehen Sie sich um! Der Raum ist eine Welt für sich. Lassen Sie ihre Augen wandern, tasten Sie die aus Ziegeln geformten Flächen ab, gewöhnen Sie sich an das harte Licht. Kunst braucht keine dicken Wände, aber sie schaden ihr auch nicht. Sie sind in Sicherheit! Ein Gemäuer, das schon viel mehr ausgehalten hat. Ein bisschen feucht ist es darüber geworden, den Putz hat es ablegen müssen, und jetzt schwitzt es all die Jahre wieder aus. Ein Raum, der dann demnächst schallisoliert wird. In dem Schlagzeuger ihre Panic Attacken voll ausleben können. Ein Raum, in dem sie schreien können, so laut sie wollen. Und ein Raum, in dem auch die leisesten Töne gut hörbar sein werden. Ein Raum für die feinen Unterschiede. Ein Raum für die Sinne also. So, wie er jetzt ist, ist er nur jetzt, nur solange dieses Fest dauert. Und Sie sind nicht alleine. Reden Sie miteinander, tauschen Sie sich aus, verständigen Sie sich, fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen, wenn etwas unklar bleibt, so wie das ja mit der Kunst so oft geht, weisen Sie andere auf besonders Gelungenes hin, überlegen Sie sich, was ihr liebstes Stück ist, wenden Sie sich dem zu, was Sie überhaupt nicht mögen und betrachten Sie es genau, finden Sie etwas daran, was Sie überrascht, was Ihr Urteil ins Wanken bringt und bilden Sie sich die Meinung nicht schnell. Stellen Sie Bezüge her, memorieren Sie einzelnes und schauen Sie es dann nach einiger Zeit noch mal an, vergleichen Sie mit ihrem Gedächtnisbild, nehmen Sie ihren zweiten Blick nicht weniger ernst als den ersten, aber auch nicht ernster. Versuchen Sie die Unterschiede zwischen Ihrem Bauchgefühl und Ihrem intellektuellen Eindruck herauszuarbeiten. Für diese nicht zu unterschätzende Aufgabe, diesen save room, der Ihre Urteilskraft anregen und stärken wird, sorgen diesmal neben Claudia Göcke, Silke Markefka, Sebastian Pöllmann, Nikolai Vogel unsere unschätzbaren Gäste Nana Dix, Heinrich Gartentor, Leonhard Hurzlmeier, Leo Lencsés, Iris Ludwig, Thomas Winkler und Matthias Wohlgenannt. Das Schöne ist das Symbol des sittlich Guten. Das Schöne gefällt unmittelbar. Es gefällt ohne alles Interesse. Aber die Unsicherheit ist das Material der Kunst! Sehen Sie sich um. Sie sind in Sicherheit. Und wenn Sie sich nicht sicher fühlen, benutzen Sie den Türspion. Wenn Sie Angst haben, vor den Bildern, Angst vor der Kunst, benutzen Sie den Türspion. Sie finden aufgehängt ihn in der Mitte des Raumes. Sie sind in Sicherheit! I love no waiting ... in a save room. Herzlichen Dank. - Sie sind in Sicherheit!
 

Nikolai Vogel
am 4. Dezember 2010

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