Nikolai Vogel: In a wide room

Rede zur Ausstellungseröffnung "I love no waiting, In a wide room" am 10. Oktober 2008, Isarufer, München
 

Nikolai Vogel - Speeches, Reden: Discovery One
 

IN A WIDE ROOM

Im Sommer waren wir am Fluss, jetzt sind wir im Weltraum. Im Sommer waren wir an der Isar, nicht an der Milchstraße. Jetzt sind wir in der Rumfordstraße, nicht irgendwo im Universum. Das Schwimmen haben wir gelernt und mit der Schwerelosigkeit haben wir angefangen. Oder welches Gewicht haben Wörter? Platten, deren Tonspur verloren ging? Vorhänge, die erst das Auge vorspielt? Umrisse, die nur durch Ausschnitt sichtbar sind? Oder Farben, die alleine durch ihre Nennung wirken? Um einen weiten Raum aufzuspannen, braucht man nicht unbedingt viel Platz.

Der Weltraum fängt nach der Definition des internationalen Luftsportverbands Fédération Aéronautique Internationale bei einer Höhe von hundert Kilometern über dem Normal Null des Meeresspiegels an. Die NASA und die US Air Force wollen ihn schon nach fünfzig Meilen, das sind circa achtzig Kilometer, anfangen lassen. Wir sind hier ungefähr - so ganz genau weiß ich es nicht - fünfhundertneunzehn Meter über dem Meeresspiegel, haben den Weltraum also ganz schön nah an die Erde gebracht, und ich finde der Weltraum schließt in jedem Fall die Erde mit ein. Jede anständige Zwei-, Drei- oder Vierzimmerwohnung liegt im Weltraum, und natürlich auch größere oder welche mit nur einem Zimmer oder WGs meinetwegen, denn lägen sie außerhalb wäre das ziemlich verrückt, mutmaßlich ein Betrugsversuch mit Immobilien, zumindest eine nahe, zentrale Lage dürfte in Frage gestellt werden. Wobei durchaus darüber gestritten werden kann, wo sich das Subjekt verordnet. Im Raum oder Außerhalb. Der Weltraum ist ja eben eine räumlich Sache und dass das so ganz ohne Zeit nicht funktioniert, wissen wir seit dem Mann, der mal die Zunge rausgestreckt hat und sich danach darüber ärgerte, weil sie seither auf jedem Foto von ihm mit drauf ist. Der Weltraum also ist noch nicht das Universum und Philipp von Zesen, der das schöne Pseudonym Ritterhold von Blauen pflegte, hat denn auch vor bald vierhundert Jahren den deutschen Begriff Weltall dafür gefunden. Und auch der ist ja nicht abgehoben, weil unsere gute alte Welt noch drinsteckt, weshalb die, die höher hinauswollen oft den schlichten Begriff All vorziehen. Der Weltallwortschöpfer Zesen alias Ritterhold hat das Gymnasium in Halle besucht, da steckt das All ja schon drin, und gilt als der erste deutsche Berufsschriftsteller. Avanti dilettanti. Weltall hin oder her, Zesen wollte klare Grenzen: Ihn trieben die Fremdwörter um, die ihm zu viele waren im Deutschen. Dieser Abgrenzungsversuch aber machte ihn schöpferisch. Wir wissen ja, oder glauben zu wissen, dass das Weltall größer wird - zumindest noch im Moment - oder sagen wir Augenblick dafür, denn so hat Zesen den Moment übersetzt und eben auch die deutsche Sprache erweitert und größer gemacht. Durchaus mit Mut zum Experiment. Worte, die sich bis heute durchgeschlagen haben und so tun, als ob sie immer schon da gewesen wären, und andere, die schon nach Expressionismus und Dada klingen. Die Sprache als Kunstschöpfung eben. Augenblick statt Moment, Glaubensbekenntnis statt Credo, Farbgebung statt Kolorit, Freistaat statt Republik, Ausflug statt Exkursion, Mundart statt Dialekt, Gesichtskreis statt Horizont. Zesen zerlegt und setzt wieder zusammen. Die Elektrizität ist ihm Blitzfeuererregung, der Papst Erzvater. Statt Kloster sagt er Jungfernzwinger, und man weiß nicht, ist das Schalksernst, also Ironie? Statt auf dem Sofa lümmelt er auf dem Lotterbett und die Grotte ist ihm ganz direkt einfach Lusthöhle. Der gemeine Verbrecher ruft Hände hoch und hält einem statt der Pistole den Meuchelpuffer unter die Nase - und dass er dafür Gesichtserker gesagt haben wollte, ist wahrscheinlich nur Kolportage. Und was Zesen für Kolportage gesagt hat, wissen wir nicht, ich schlage mal vor Lügengeruch. Wenn er gelüftet hat, hat er die Tageleuchter geöffnet, anstatt der Fenster, statt Orthographie war er um seine Rechtschreibung bemüht, er schrieb auf den Brief die Anschrift statt der Adresse, sagte Gotteshaus statt Tempel, Letzter Wille statt Testament, Grundstein statt Fundament - ich stelle mir vor, statt Laptop hätte er Schoßrechner gesagt und statt mpg player Tondateier - statt der Passion jedenfalls hat er sich entschlossen, Leidenschaft zu zeigen. Und da sind wir schon noch beim Thema. Denn geheiratet hat er, und das ist interessant, eine Leinwandhändlerin! Der Vielschreiber und Verlagsmitarbeiter ist über Grenzen gegangen. Die Leinwand und die Sprache machen weite Räume auf, auch in engeren Zimmern. In der Sprache und in der Malerei geht es darum, etwas, was es schon gibt, mit etwas, was es noch nicht gibt zum Erscheinen zu bringen, oder umgekehrt, etwas, was es noch nicht gibt, mit etwas, was es schon gibt, zu erschaffen. In a wide room. Das, was nicht da ist, macht den Weltraum und die Kunst dabei genauso aus, wie das, was da ist, es schafft erst die Weite. Das Ausgeschnittene, die Tonspur unter der Farbe, die Stille zwischen den Wörtern, das, was der Vorhang erahnen lässt. Das Universum und das Weltall sind groß, der Weltraum aber hat heute Abend genau die richtige Größe. I love no waiting. Zeit zu verlieren haben wir nicht, nicht ohne Passion oder Leidenschaft, um zum Schluss dieser Rede zu kommen. Zesens Schlussgesang von der Flüchtigkeit und Nichtigkeit des menschlichen Lebens, beginnt so: Sage mir, was ist dein Leben, / Lieber! Sag es, Menschenkind! / Ist es nicht gleich als ein Wind, / Als ein Schiff, der See ergeben? / Schießt es nicht so schnell dahin, / Als ein Strom von Anbeginn? - Beim Fluss waren wir schon. I love no waiting. Vierhundert Jahre vergehen wie im Flug. Mal sehen, wo es weiter geht. Hier viel Spaß, lassen Sie sich nicht hetzen. I love no waiting heißt auch warte mal! Vielen Dank fürs Kommen und lieber Rudi, vielen Dank für den Weltraum! In a wide room! In Gegenwart. Dankeschön!
 

Nikolai Vogel
am 10. Oktober 2008


Photo © by Eltorn
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